Leitfaden zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis und zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten der Technischen Informationsbibliothek (TIB) und Verfahrensgrundsätze

Verabschiedete Fassung vom 8. Mai 2023, angepaßt am 27. Juni 2023.

Einleitung

Grundlagen validen wissenschaftlichen Arbeitens sind die Ehrlichkeit der Wissenschaftler:innen gegenüber sich selbst und anderen und die Redlichkeit bei der Suche nach wahrheitsgemäßen Erkenntnissen.
Der vorliegende Leitfaden der TIB zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis setzt sowohl die Ebenen eins und zwei der Leitlinien 1 bis 19 des Kodex der DFG „Leitlinien guter wissenschaftlicher Praxis“ vom August 2019 (DFG Kodex) um – in der Leibniz-Gemeinschaft in der Fassung „Leibniz-Kodex gute wissenschaftliche Praxis“ im November 2021 beschlossen (Leibniz Kodex) –, als auch die „Leitlinie gute wissenschaftliche Praxis in der Leibniz-Gemeinschaft“ vom 28.11.2019 (Leibniz Leitlinien).

1 Allgemeine Prinzipien

Die Standards guter wissenschaftlicher Praxis, welche in diesem Leitfaden bekannt gegeben werden und sich am DFG-Kodex orientieren, sind verpflichtend für alle Wissenschaftler:innen an der TIB sowie für alle weiteren an der TIB tätigen Akteure im Wissenschaftssystem, die zur Sicherung wissenschaftlicher Integrität beitragen. Der Personenkreis wird im Nachfolgenden zur Vereinfachung als Wissenschaftler:innen bezeichnet.

Leitlinie 1 Verpflichtung auf die allgemeinen Prinzipien

Jede Wissenschaftler:in trägt die Verantwortung dafür, dass das eigene Verhalten den Standards guter wissenschaftlicher Praxis entspricht.

Grundlegendes Prinzip guter wissenschaftlicher Praxis ist es, lege artis zu arbeiten. Dazu gehört es, strikte Ehrlichkeit im Hinblick auf die eigenen und die Beiträge Dritter zu wahren, alle Ergebnisse konsequent selbst anzuzweifeln sowie einen kritischen Diskurs in der wissenschaftlichen Gemeinschaft zuzulassen und zu fördern.

Leitlinie 2 Berufsethos

Wissenschaftler:innen der TIB tragen Verantwortung dafür, die grundlegenden Werte und Normen wissenschaftlichen Arbeitens in ihrem Handeln zu verwirklichen und für sie einzustehen. Die Vermittlung der Grundlagen guten wissenschaftlichen Arbeitens ist an der TIB ab einem frühestmöglichen Zeitpunkt Bestandteil der wissenschaftlichen Ausbildung. Wissenschaftler:innen aller Karriereebenen aktualisieren regelmäßig ihren Wissensstand zu den Standards guter wissenschaftlicher Praxis und zum Stand der Forschung.

Erfahrene Wissenschaftler:innen sowie Nachwuchswissenschaftler:innen unterstützen sich gegenseitig im kontinuierlichen Lern- und Weiterbildungsprozess und stehen in einem regelmäßigen Austausch.

Leitlinie 3: Organisationsverantwortung der Leitung der TIB

Die Leitung der TIB schafft die Rahmenbedingungen für wissenschaftliches Arbeiten. Sie ist zuständig für die Einhaltung und Vermittlung guter wissenschaftlicher Praxis sowie für eine angemessene Karriereunterstützung aller Wissenschaftler:innen. Die Leitung der TIB garantiert die Voraussetzungen dafür, dass die Wissenschaftler:innen rechtliche und ethische Standards einhalten können. Zu den Rahmenbedingungen gehören klare und schriftlich festgelegte Verfahren und Grundsätze der Personalauswahl, der Karriereentwicklung und der Chancengleichheit.

Die Leitung der TIB trägt Verantwortung für eine angemessene institutionelle Organisationsstruktur. Diese gewährleistet, dass in Abhängigkeit von der Größe der einzelnen wissenschaftlichen Arbeitseinheiten der TIB die Aufgaben der Leitung, Aufsicht, Qualitätssicherung und Konfliktregelung eindeutig zugewiesen sind und den jeweiligen Mitgliedern und Angehörigen geeignet vermittelt werden.

Im Rahmen der Personalauswahl und der Personalentwicklung werden die Gleichstellung der Geschlechter und die Vielfältigkeit („Diversity“) berücksichtigt. Die entsprechenden Prozesse sind transparent und vermeiden weitestmöglich nichtwissentliche Einflüsse („unconscious bias“). Um eine ausgewogene, nicht-diskriminierende Bewertung zu gewährleisten, sind in den Bewerbungsprozess formal auch die Gleichstellungsbeauftragten und der Personalrat mit einbezogen. Die TIB wird regelmäßig nach dem Total E-Quality Award zertifiziert, welches die Vereinbarkeit von Beruf und Familie auch für die Wissenschaftler:innen realisiert. Die Personalentwicklung unterliegt ebenfalls der oben genannten nicht-diskriminierenden Bewertung und wird u.a. durch die Jahresgespräche zwischen Mitarbeitenden und Vorgesetzten gestützt.

Leitlinie 4: Verantwortung der Leitung von Arbeitseinheiten

Leitungen wissenschaftlicher Arbeitseinheiten innerhalb der TIB tragen die Verantwortung für die gesamte Einheit. Das Zusammenwirken in wissenschaftlichen Arbeitseinheiten ist so beschaffen, dass die Gruppe als Ganze ihre Aufgaben erfüllen kann, dass die dafür nötige Zusammenarbeit und Koordination erfolgen und allen Mitgliedern ihre Rollen, Rechte und Pflichten bewusst sind. Zur Leitungsaufgabe gehören insbesondere auch die Gewährleistung der angemessenen individuellen Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie die Karriereförderung des wissenschaftlichen und wissenschaftsunterstützenden Personals. Machtmissbrauch und das Ausnutzen von Abhängigkeitsverhältnissen sind durch geeignete organisatorische Maßnahmen sowohl auf der Ebene der einzelnen wissenschaftlichen Arbeitseinheit als auch auf der Ebene der Leitung zu verhindern.

Die Größe und die Organisation der wissenschaftlichen Arbeitseinheit der TIB sind so gestaltet, dass die Leitungsaufgaben, insbesondere die Kompetenzvermittlung, die wissenschaftliche Begleitung sowie die Aufsichts- und Betreuungspflichten, angemessen wahrgenommen werden können. Die Wahrnehmung von Leitungsaufgaben geht mit der entsprechenden Verantwortung einher. Wissenschaftler:innen der TIB genießen ein der Karrierestufe angemessenes Verhältnis von Anleitung und Eigenverantwortung. Ihnen kommt ein adäquater Status mit entsprechenden Mitwirkungsrechten zu. Sie werden durch zunehmende Selbstständigkeit in die Lage versetzt, ihre Karriere zu gestalten.

Zur Verhinderung von Machtmissbrauch und Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen stehen neben den Ombudspersonen weitere Ansprechpartner:innen in Form von Mitarbeiter:innen der Personalvertretung, Vertreter:innen der Promovierenden und Post-Docs sowie Gleichstellungsbeauftragte zur Verfügung.  Mit regelmäßigen, extern begleiteten Mitarbeiter:innnen Umfrage findet ebenfalls ein Monitoring statt.

Leitlinie 5: Leistungsdimensionen und Bewertungskriterien

Für die Bewertung der Leistung von Wissenschaftler:innen ist ein mehrdimensionaler Ansatz erforderlich: Die Bewertung der Leistung folgt grundsätzlich qualitativen, disziplinspezifischen Maßstäben. Quantitative Indikatoren sollen differenziert und reflektiert in die Gesamtbewertung einfließen. Neben der wissenschaftlichen Leistung können weitere Aspekte Berücksichtigung finden.

Qualitativ hochwertige Wissenschaft orientiert sich an disziplinspezifischen Kriterien. Neben der Gewinnung von Erkenntnissen und ihrer kritischen Reflexion fließen wissenschaftliche Exzellenz, Drittmitteleinwerbung, wissenschaftlicher Service und Soft Skills in die Beurteilung als Leistungsdimensionen ein. Originalität und Qualität haben als Leistungs- und Bewertungskriterien Vorrang vor Quantität. Quantitative Indikatoren können nur differenziert und reflektiert in die Gesamtbewertung einfließen. Personenspezifische Leistungen werden jedes Jahr systematisch erfasst, wodurch unter anderem Publikationstätigkeit, Umfang der Einwerbung von Drittmitteln, Lehrtätigkeit und andere Leistungen wie Querschnittsaufgaben und Gremientätigkeiten dokumentiert werden.

Die TIB berücksichtigt bei der Bewertung ihrer Wissenschaftler:innen die Evaluierungskriterien der Leibniz-Gemeinschaft. Die übergeordneten Ziele der TIB, die in Form von Programmbudgets mit den Finanzierungsgebern vereinbart sind, werden im Rahmen von vertraulichen Jahresgesprächen mit den jeweiligen Vorgesetzten für das laufende Jahr konkretisiert. Im Jahresgespräch erhalten die Wissenschaftler:innen ein Leistungsfeedback über Arbeitsergebnisse, Engagement, Effizienz und Sozialkompetenz während des zurückliegenden Zeitraums.

Leitlinie 6: Ombudspersonen

Die TIB hat zwei unabhängige Ombudspersonen, an die sich ihre Wissenschaftler:innen und Angehörige in Fragen guter wissenschaftlicher Praxis und in Fragen vermuteten wissenschaftlichen Fehlverhaltens wenden können. Die Ombudspersonen können sich für den Fall der Besorgnis, der Befangenheit oder der Verhinderung gegenseitig vertreten. Die TIB trägt hinreichend dafür Sorge, dass die Ombudspersonen bekannt sind.

Wissenschaftler:innen wählen in geheimer Wahl eine Ombudsperson und eine stellvertretende Ombudsperson. Die Direktion der TIB ist verantwortlich für die Durchführung der geheimen Wahl und trägt die Verantwortung dafür, dass die Ombudspersonen in geeigneter Weise an der TIB bekannt gemacht werden.

Die Amtszeit beträgt vier Jahre, mit der Möglichkeit einer einmaligen Wiederwahl. Wahlberechtigt sind alle Wissenschaftler:innen an der TIB sowie alle weiteren an der TIB tätigen Akteure im Wissenschaftssystem. Alles Weitere regelt die Wahlordnung „Wahlordnung der Technischen Informationsbibliothek für die Wahl Ombudspersonen“. Die Ombudspersonen sollen für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderliche persönliche Integrität, Unabhängigkeit, sachliche Urteilskraft und Erfahrung, beispielsweise in Leitungspositionen, verfügen. Sie dürfen während der Ausübung dieses Amtes jedoch nicht Mitglied eines zentralen Leitungsgremiums der TIB sein. Die Ombudspersonen der TIB beraten als neutrale und qualifizierte Ansprechpersonen in Fragen guter wissenschaftlicher Praxis und in Verdachtsfällen wissenschaftlichen Fehlverhaltens und tragen, soweit möglich, zur lösungsorientierten Konfliktvermittlung bei. Grundsätze der Tätigkeit der Ombudspersonen sind Vertraulichkeit, Neutralität, Fairness und Transparenz gegenüber den Beteiligten. Sie sind die erste Anlaufstelle bei Unstimmigkeiten, Verdachtsmomenten und Streitfragen zu den Standards der guten wissenschaftlichen Praxis. Sie erhalten die erforderliche inhaltliche Unterstützung und Akzeptanz bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben. Die Ombudspersonen werden tätig, wenn ihnen ein Verdacht bekannt gemacht wird.

Die Aufgaben der Ombudspersonen sind insbesondere:

  • Aktive Kommunikation der Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis und Beitrag dazu, dass die wissenschaftliche Integrität selbstverständlicher Teil der Arbeit der Wissenschaftler:innen der TIB ist,
  • Stellungnahmen zu Fällen der Vermutung wissenschaftlichen Fehlverhaltens,
  • Überprüfung der Vorwürfe von wissenschaftlichem Fehlverhalten in einem förmlichen Verfahren,
  • Zusammenarbeit mit dem zentralen Leibniz-Ombudsgremium.

Sollten beide Ombudspersonen der TIB befangen oder nicht in der Lage sein, einander zu vertreten, haben können sich Wissenschaftler:innen  an das zentrale Ombudsgremium der Leibniz Gemeinschaft oder das  überregional tätige Gremium „Ombudsman für die Wissenschaft“ der DFG wenden.

Das Zusammenspiel zwischen den Ombudspersonen der TIB und dem zentralen Leibniz-Ombudsgremium regelt die Leitlinie gute wissenschaftliche Praxis in der Leibniz-Gemeinschaft.

Sollte eine dauerhaft verlässliche Aufgabenerfüllung einer Ombudsperson nicht mehr möglich erscheinen oder das Vertrauen in die sachgerechte Aufgabenerfüllung der Ombudsperson nicht mehr bestehen, ist eine Abwahl vorgesehen. Dies ist nur möglich, wenn mindestens zwei Drittel der Wahlberechtigten zustimmen. Vor dem Beschluss über die Abwahl ist die Ombudsperson zu hören.

2 Forschungsprozess – Leitlinien guten wissenschaftlichen Arbeitens

Leitlinie 7: Phasenübergreifende Qualitätssicherung

Wissenschaftler:innen der TIB führen jeden Teilschritt im Forschungsprozess lege artis durch. Wenn wissenschaftliche Erkenntnisse öffentlich zugänglich gemacht werden (im engeren Sinne in Form von Publikationen, aber auch im weiteren Sinne über andere Kommunikationswege), werden stets die angewandten Mechanismen der Qualitätssicherung dargelegt. Dies gilt insbesondere, wenn neue Methoden entwickelt werden.

Kontinuierliche, forschungsbegleitende Qualitätssicherung bezieht sich insbesondere auf die Einhaltung fachspezifischer Standards und etablierter Methoden, auf Prozesse wie die Erhebung, Prozessierung und Analyse von Forschungsdaten, die Auswahl und Nutzung von Forschungssoftware, deren Entwicklung und Programmierung. Wissenschaftler:innen berichtigen ihre Daten und Erkenntnisse, wenn ihnen im Nachgang zur Veröffentlichung Unstimmigkeiten oder Fehler auffallen. Bilden die Unstimmigkeiten oder Fehler Anlass für die Zurücknahme einer Publikation, wirken Wissenschaftler:innen der TIB bei dem entsprechenden Verlag oder dem Infrastrukturanbieter etc. schnellstmöglich darauf hin, dass die Korrektur beziehungsweise die Zurücknahme erfolgt und entsprechend kenntlich gemacht wird. Gleiches gilt, sofern Wissenschaftler:innen von Dritten auf solche Unstimmigkeiten oder Fehler hingewiesen werden.

Die Herkunft von im Forschungsprozess verwendeten Daten, Materialien und Software wird kenntlich gemacht und die Nachnutzung belegt; die Originalquellen werden zitiert. Art und Umfang von im Forschungsprozess entstehenden Forschungsdaten werden beschrieben. Der Umgang mit ihnen wird entsprechend den Vorgaben im betroffenen Fach ausgestaltet. Zu diesem Zweck hat die TIB, ergänzend zu der vorliegenden Richtlinie, eine Forschungsdaten-Policy verabschiedet mit dem Ziel, den sorgsamen und offenen Umgang mit Forschungsdaten zu fördern und bestmögliche Rahmenbedingungen für das Forschungsdatenmanagement zu schaffen. Selbst entwickelter Quellcode von öffentlich

zugänglicher Forschungssoftware wird von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern persistent, zitierbar und dokumentiert bereitgestellt. Dass Ergebnisse beziehungsweise Erkenntnisse durch andere Wissenschaftler:innen repliziert beziehungsweise bestätigt werden können (beispielsweise mittels einer ausführlichen Beschreibung von Materialien und Methoden), ist – abhängig von dem betroffenen Fachgebiet – essenzieller Bestandteil der Qualitätssicherung.

Leitlinie 8: Akteure, Verantwortlichkeiten und Rollen

Die Rollen und die Verantwortlichkeiten der an einem Forschungsvorhaben beteiligten Wissenschaftler:innen sowie des wissenschaftsunterstützenden Personals müssen zu jedem Zeitpunkt eines Forschungsvorhabens klar sein.

Die Beteiligten eines Forschungsvorhabens stehen in einem regelmäßigen Austausch. Sie legen ihre Rollen und Verantwortlichkeiten in geeigneter Weise fest und passen diese, sofern erforderlich, an. Eine Anpassung ist insbesondere angezeigt, wenn sich der Arbeitsschwerpunkt einer/eines Beteiligten des Forschungsvorhabens verändert.

Leitlinie 9: Forschungsdesign

Wissenschaftler:innen der TIB berücksichtigen bei der Planung eines Vorhabens umfassend und kritisch den aktuellen Forschungsstand. Die Identifikation relevanter und geeigneter Forschungsfragen setzt sorgfältige Recherche nach bereits öffentlich zugänglich gemachten Forschungsleistungen voraus. Die Direktion der TIB stellt die für die Recherche von öffentlich zugänglich gemachten Forschungsleistungen erforderlichen Rahmenbedingungen sicher.

Methoden zur Vermeidung von (unbewussten) Verzerrungen bei der Interpretation von Befunden, zum Beispiel Verblindung von Versuchsreihen, werden, soweit möglich, angewandt. Wissenschaftler:innen der TIB prüfen, ob und, wenn ja, inwiefern Geschlecht und Vielfältigkeit für das Forschungsvorhaben (mit Blick auf die Methoden, das Arbeitsprogramm, die Ziele etc.) bedeutsam sein können. Bei der Interpretation von Befunden werden die jeweiligen Rahmenbedingungen berücksichtigt.

Leitlinie 10: Rechtliche und ethische Rahmenbedingungen, Nutzungsrechte

Die Wissenschaftler:innen der TIB gehen mit der verfassungsrechtlich gewährten Forschungsfreiheit verantwortungsvoll um. Sie berücksichtigen Rechte und Pflichten, insbesondere solche, die aus gesetzlichen Vorgaben, aber auch aus Verträgen mit Dritten resultieren, und holen, sofern erforderlich, Genehmigungen und Ethikvoten ein und legen diese vor. Im Hinblick auf Forschungsvorhaben sollten eine gründliche Abschätzung der Forschungsfolgen und die Beurteilung der jeweiligen ethischen Aspekte erfolgen. Zu den rechtlichen Rahmenbedingungen eines Forschungsvorhabens zählen auch dokumentierte Vereinbarungen über die Nutzungsrechte an aus ihm hervorgehenden Forschungsdaten und Forschungsergebnissen.

Wissenschaftler:innen  der TIB sollen sich Gefahren des Missbrauchs von Forschungsergebnissen kontinuierlich bewusst machen. Ihre Verantwortung beschränkt sich dabei nicht auf die Einhaltung rechtlicher Vorgaben, sondern umfasst auch die Verpflichtung, ihr Wissen, ihre Erfahrung und ihre Fähigkeiten so einzusetzen, dass Risiken erkannt, abgeschätzt und bewertet werden können. Dabei berücksichtigen sie insbesondere die mit sicherheitsrelevanter Forschung (dual use) verbundenen Aspekte. Die Direktion der TIB trägt Verantwortung für die Regelkonformität des Handelns der Mitarbeiter:innen und befördert diese durch geeignete Organisationsstrukturen. Sie entwickeln verbindliche Grundsätze für Forschungsethik und Verfahren für die entsprechende Beurteilung von Forschungsvorhaben und berücksichtigen dabei nationale und internationale Regularien sowie - wenn anwendbar - die Verfahrensordnung Ethik der Forschung der Leibniz-Gemeinschaft.

Wissenschaftler:innen der TIB treffen, sofern möglich und zumutbar, zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt im Forschungsvorhaben dokumentierte Vereinbarungen über die Nutzungsrechte. Dokumentierte Vereinbarungen bieten sich insbesondere an, wenn an einem Forschungsvorhaben mehrere akademische und/oder nichtakademische Einrichtungen beteiligt sind oder wenn absehbar ist, dass Wissenschaftler:innen die Forschungseinrichtung wechseln werden und die von ihnen generierten Daten weiterhin für (eigene) Forschungszwecke verwenden möchten. Die weitere Nutzung steht insbesondere denjenigen zu, die sie erheben. Im Rahmen eines laufenden Forschungsprojekts entscheiden auch die Nutzungsberechtigten (insbesondere nach Maßgabe datenschutzrechtlicher Bestimmungen), ob Dritte Zugang zu den Daten erhalten sollen.

Leitlinie 11: Methoden und Standards

Zur Beantwortung von Forschungsfragen wenden Wissenschaftler:innen wissenschaftlich fundierte und nachvollziehbare Methoden an. Bei der Entwicklung und Anwendung neuer Methoden legen sie besonderen Wert auf die Qualitätssicherung und Etablierung von Standards.

Die Anwendung einer Methode erfordert in der Regel spezifische Kompetenzen, die gegebenenfalls über entsprechend enge Kooperationen abgedeckt werden. Die Etablierung von Standards bei Methoden, bei der Anwendung von Software, der Erhebung von Forschungsdaten sowie der Beschreibung von Forschungsergebnissen bildet eine wesentliche Voraussetzung für die Vergleichbarkeit und Übertragbarkeit von Forschungsergebnissen.

Leitlinie 12: Dokumentation

Die Wissenschaftler:innen der TIB dokumentieren alle für das Zustandekommen eines Forschungsergebnisses relevanten Informationen so nachvollziehbar, wie dies im betroffenen Fachgebiet erforderlich und angemessen ist, um das Ergebnis überprüfen und bewerten zu können. Grundsätzlich dokumentieren sie daher auch Einzelergebnisse, die die Forschungshypothese nicht stützen. Eine Selektion von Ergebnissen hat in diesem Zusammenhang zu unterbleiben. Sofern für die Überprüfung und Bewertung konkrete fachliche Empfehlungen existieren, nehmen die Wissenschaftler:innen der TIB die Dokumentation entsprechend der jeweiligen Vorgaben vor. Wird die Dokumentation diesen Anforderungen nicht gerecht, werden die Einschränkungen und die Gründe dafür nachvollziehbar dargelegt. Dokumentationen und Forschungsergebnisse dürfen nicht manipuliert werden und sollen bestmöglich gegen Manipulationen geschützt werden.

Eine wichtige Grundlage für die Ermöglichung einer Replikation ist es, die für das Verständnis der Forschung notwendigen Informationen über verwendete oder entstehende Forschungsdaten, die Methoden-, Auswertungs- und Analyseschritte sowie gegebenenfalls die Entstehung der Hypothese zu hinterlegen, die Nachvollziehbarkeit von Zitationen zu gewährleisten und, soweit möglich, Dritten den Zugang zu diesen Informationen zu gestatten. Bei der Entwicklung von Forschungssoftware wird der Quellcode dokumentiert. Die TIB unterstützt die Nachvollziehbarkeit von Forschungsergebnissen durch ihre Forschungsdaten-Policy.

Leitlinie 13: Herstellung von öffentlichem Zugang zu Forschungsergebnissen

Grundsätzlich bringen Wissenschaftler:innen der TIB alle Ergebnisse in den wissenschaftlichen Diskurs ein. Im Einzelfall kann es aber Gründe geben, Ergebnisse nicht öffentlich zugänglich (im engeren Sinne in Form von Publikationen, aber auch im weiteren Sinne über andere Kommunikationswege) zu machen. Dabei darf diese Entscheidung nicht von Dritten abhängen. Wissenschaftler:innen entscheiden in eigener Verantwortung – unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten des betroffenen Fachgebiets –, ob, wie und wo sie ihre Ergebnisse öffentlich zugänglich machen. Ist eine Entscheidung, Ergebnisse öffentlich zugänglich zu machen, erfolgt, beschreiben Wissenschaftler:innen der TIB diese vollständig und nachvollziehbar. Dazu gehört es auch, soweit dies möglich und zumutbar ist, die den Ergebnissen zugrunde liegenden Forschungsdaten, Materialien und Informationen, die angewandten Methoden sowie die eingesetzte Software verfügbar zu machen und Arbeitsabläufe umfänglich darzulegen. Selbstprogrammierte Software wird unter Angabe des Quellcodes öffentlich zugänglich gemacht. Eigene und fremde Vorarbeiten weisen Wissenschaftler:innen vollständig und korrekt nach.

Die TIB hat eine Forschungsdaten-Policy und eine Open-Access-Policy verabschiedet, die ihre Wissenschaftler:innen als Leitfaden für die Herstellung des öffentlichen Zugangs zu Forschungsergebnissen dienen. Für Publikationen gilt „Qualität vor Quantität“, d.h. unangemessen, kleinteilige Publikationen werden vermieden und zuvor öffentlich gemachte Ergebnisse werden zitiert. Die Wissenschaftler:innen beschränken die Wiederholung der Inhalte ihrer Publikationen als (Co-)Autorinnen und (Co-)Autoren auf den für das Verständnis des Zusammenhangs erforderlichen Umfang. Sie zitieren ihre zuvor bereits öffentlich zugänglich gemachten Ergebnisse, sofern darauf nach dem disziplinspezifischen Selbstverständnis nicht ausnahmsweise verzichtet werden darf. Aus Gründen der Nachvollziehbarkeit, Anschlussfähigkeit der Forschung und Nachnutzbarkeit hinterlegen die Wissenschaftler:innen der TIB, wann immer möglich, die der Publikation zugrunde liegenden Forschungsdaten und zentralen Materialien – den FAIR-Prinzipien („Findable, Accessible, Interoperable, Re-Usable“) folgend – zugänglich in anerkannten Archiven und Repositorien. Die TIB betreibt zu diesem Zweck ein institutionelles Repositorium, das den FAIR-Prinzipien folgt. Einschränkungen können sich beispielsweise im Kontext von Patentanmeldungen mit Blick auf die öffentliche Zugänglichkeit ergeben. Sofern eigens entwickelte Forschungssoftware für Dritte bereitgestellt werden soll, wird diese mit einer angemessenen Lizenz versehen.

Leitlinie 14: Autorschaft

Autor:in ist, wer nachvollziehbar einen wesentlichen und selbstständigen Beitrag zu dem Inhalt einer wissenschaftlichen Text-, Daten- oder Softwarepublikation geleistet hat. Alle Autorinnen und Autoren stimmen der finalen Fassung des Werks, das publiziert werden soll, zu. Sie tragen für die Publikation die gemeinsame Verantwortung. Abweichungen von diesem Grundsatz müssen in der Publikation explizit ausgewiesen werden. Autor:innen der TIB achten darauf und wirken, soweit möglich, darauf hin, dass ihre Forschungsbeiträge von den Verlagen beziehungsweise den Infrastrukturanbietern so gekennzeichnet werden, dass sie von Nutzer:innen korrekt zitiert werden können.

Der die Autorschaft begründende Beitrag muss zum wissenschaftlichen Inhalt der Publikation geleistet werden. Wann ein Beitrag wesentlich, selbstständig und nachvollziehbar ist, ist in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen und hängt von dem betroffenen Fachgebiet ab. In der Regel liegt dies vor, wenn Wissenschaftler:innen in wissenschaftserheblicher Weise an

  • der Entwicklung und Konzeption des Forschungsvorhabens oder
  • der Erarbeitung, Erhebung, Beschaffung, Bereitstellung der Daten, der Software, der Quellen oder
  • der Analyse/Auswertung oder Interpretation der Daten, Quellen und an den aus diesen folgenden Schlussfolgerungen oder
  • am Verfassen des Manuskripts mitgewirkt hat.

Reicht ein Beitrag nicht aus, um eine Autorschaft zu rechtfertigen, kann diese Unterstützung in Fußnoten, im Vorwort oder in einem Acknowledgement angemessen anerkannt werden. Eine Ehrenautorschaft, bei der gerade kein solcher Beitrag geleistet wurde, ist in der Leibniz-Gemeinschaft nicht zulässig. Eine Leitungs- oder Vorgesetztenfunktion begründet für sich allein keine Mitautorschaft.

Wissenschaftler:innen verständigen sich, wer Autor:in der Forschungsergebnisse werden soll. Die Verständigung über die Reihenfolge der Autor:innen erfolgt rechtzeitig, in der Regel spätestens dann, wenn das Manuskript formuliert wird, anhand nachvollziehbarer Kriterien unter Berücksichtigung der Konventionen des jeweiligen Fachgebiets. Ohne hinreichenden Grund darf eine erforderliche Zustimmung zu einer Publikation von Ergebnissen nicht verweigert werden. Die Verweigerung der Zustimmung muss mit einer nachprüfbaren Kritik an Daten, Methoden oder Ergebnissen begründet werden.

Leitlinie 15: Publikationsorgan

Autor:innen der TIB wählen das Publikationsorgan – unter Berücksichtigung seiner Qualität und Sichtbarkeit im jeweiligen Diskursfeld – sorgfältig aus. Wissenschaftler:innen, die die Funktion von Herausgeber:innen übernehmen, prüfen sorgfältig, für welche  Publikationsorgane sie diese Aufgabe übernehmen. Die wissenschaftliche Qualität eines Beitrags hängt nicht von dem Publikationsorgan ab, in dem er öffentlich zugänglich gemacht wird.

Neben Publikationen in Büchern und Fachzeitschriften kommen insbesondere auch Fachrepositorien, Daten- und Softwarerepositorien sowie Blogs in Betracht. Ein neues oder unbekanntes Publikationsorgan wird auf seine Seriosität hin geprüft. Ein wesentliches Kriterium bei der Auswahlentscheidung besteht darin, ob das Publikationsorgan eigene Richtlinien zur guten wissenschaftlichen Praxis etabliert hat. Die TIB unterstützt ihre Wissenschaftler:innen bei der Auswahl von Publikationsorganen, insbesondere bei Open Access Publikationen  und der Vermeidung von Predatory Publishing.

Leitlinie 16: Vertraulichkeit und Neutralität bei Begutachtungen und Beratungen

Redliches Verhalten ist die Grundlage der Legitimität eines Urteilsbildungsprozesses. Wissenschaftler:innen der TIB, die insbesondere eingereichte Manuskripte, Förderanträge oder die Ausgewiesenheit von Personen beurteilen, sind diesbezüglich zu strikter Vertraulichkeit verpflichtet. Sie legen alle Tatsachen offen, die die Besorgnis einer Befangenheit begründen können. Die Verpflichtung zur Vertraulichkeit und zur Offenlegung von Tatsachen, die die Besorgnis einer Befangenheit begründen können, gilt auch für Mitglieder in wissenschaftlichen Beratungs- und Entscheidungsgremien.

Die Vertraulichkeit der fremden Inhalte, zu denen die Gutachter:in beziehungsweise das Gremienmitglied Zugang erlangt, schließt die Weitergabe an Dritte und die eigene Nutzung aus. Wissenschaftler:innen der TIB zeigen etwaige Interessenskonflikte oder Befangenheiten, die in Bezug auf das begutachtete Forschungsvorhaben oder die Person beziehungsweise den Gegenstand der Beratung begründet sein könnten, unverzüglich bei der zuständigen Stelle an.

Leitlinie 17: Archivierung

Wissenschaftler:innen der TIB sichern öffentlich zugänglich gemachte Forschungsdaten beziehungsweise Forschungsergebnisse sowie die ihnen zugrunde liegenden, zentralen Materialien und gegebenenfalls die eingesetzte Forschungssoftware, gemessen an den Standards des betroffenen Fachgebiets, in adäquater Weise und bewahren sie für einen angemessenen Zeitraum auf. Sofern nachvollziehbare Gründe dafür existieren, bestimmte Daten nicht aufzubewahren, legen die Wissenschaftler:innen dies dar. Die TIB stellt die hierzu erforderliche Infrastruktur bereit.

Wenn wissenschaftliche Erkenntnisse öffentlich zugänglich gemacht werden, werden die zugrunde liegenden Forschungsdaten (in der Regel Rohdaten) – abhängig vom jeweiligen Fachgebiet – in der Regel für einen Zeitraum von zehn Jahren zugänglich und nachvollziehbar in der Einrichtung, wo sie entstanden sind, oder in standortübergreifenden Repositorien aufbewahrt. In begründeten Fällen können verkürzte Aufbewahrungsfristen angemessen sein; die entsprechenden Gründe werden nachvollziehbar beschrieben. Die Aufbewahrungsfrist beginnt mit dem Datum der Herstellung des öffentlichen Zugangs.

3 Verfahren bei Nichtbeachtung guter wissenschaftlicher Praxis

Leitlinie 18: Hinweisgebende und von Vorwürfen Betroffene

Die Ombudspersonen der TIB und ggbfs. eine Untersuchungskommission (siehe Abschnitt 5), die einen Verdacht wissenschaftlichen Fehlverhaltens überprüfen, setzen sich in allen Verfahrensschritten in geeigneter Weise für den Schutz sowohl der Hinweisgebenden als auch der/des von den Vorwürfen Betroffenen ein. Die Untersuchung von Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens erfolgt ausdrücklich unter Beachtung der Vertraulichkeit und des Grundgedankens der Unschuldsvermutung. Die Anzeige der Hinweisgebenden muss in gutem Glauben erfolgen. Bewusst unrichtig oder mutwillig erhobene Vorwürfe können selbst ein wissenschaftliches Fehlverhalten begründen. Wegen der Anzeige sollen weder der/dem Hinweisgebenden noch der/dem von den Vorwürfen Betroffenen Nachteile für das eigene wissenschaftliche oder berufliche Fortkommen erwachsen.

Anzeigen sollen – insbesondere bei Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern – möglichst nicht zu Verzögerungen während der Qualifizierung der/des Hinweisgebenden führen, die Erstellung von Abschlussarbeiten und Promotionen soll keine Benachteiligung erfahren. Dies gilt auch für Arbeitsbedingungen sowie mögliche Vertragsverlängerungen.

Die Ombudspersonen der TIB und ggbfs. eine Untersuchungskommission tragen dem Grundgedanken der Unschuldsvermutung gegenüber der/dem Betroffenen in jedem Verfahrensstadium im Rahmen einer einzelfallbezogenen Abwägung Rechnung. Der/Dem von den Vorwürfen Betroffenen sollen grundsätzlich so lange keine Nachteile aus der Überprüfung des Verdachts erwachsen, bis ein wissenschaftliches Fehlverhalten förmlich festgestellt wurde. Die/Der Hinweisgebende muss über objektive Anhaltspunkte verfügen, dass möglicherweise gegen Standards guter wissenschaftlicher Praxis verstoßen wurde.

Kann die/der Hinweisgebende die Fakten nicht selbst prüfen oder bestehen in Hinsicht auf einen beobachteten Vorgang Unsicherheiten bei der Interpretation der geltenden Regeln zur guten wissenschaftlichen Praxis, sollte die/der Hinweisgebende sich zur Klärung des Verdachts an die Ombudsperson der TIB, oder an das überregionale DFG-Gremium „Ombudsman für die Wissenschaft“ oder ggbfs. an das zentrale Ombudsgremium der Leibniz-Gemeinschaft wenden.

Die Überprüfung von Anzeigen, bei denen der/die Hinweisgebende ihren/seinen Namen nicht nennt (anonyme Anzeige), wird im Einzelfall entschieden. Eine anonym erhobene Anzeige kann nur dann in einem Verfahren überprüft werden, wenn die/der Hinweisgebende der Stelle, die den Verdacht prüft, belastbare und hinreichend konkrete Tatsachen vorträgt. Ist die/der Hinweisgebende namentlich bekannt, behandeln die Ombudspersonen der TIB und ggbfs. eine Untersuchungskommission den Namen vertraulich und gibt ihn nicht ohne entsprechendes Einverständnis an Dritte heraus. Etwas anderes gilt nur, wenn hierzu eine gesetzliche Verpflichtung besteht oder die/der von den Vorwürfen Betroffene sich andernfalls nicht sachgerecht verteidigen kann, weil es hierfür ausnahmsweise auf die Identität der/des Hinweisgebenden ankommt. Bevor der Name der/des Hinweisgebenden offengelegt wird, wird sie/er darüber umgehend in Kenntnis gesetzt; die/der Hinweisgebende kann entscheiden, ob sie/er die Anzeige – bei abzusehender Offenlegung des Namens – zurückzieht.

Die Vertraulichkeit eines Verfahrens erfährt Einschränkungen, wenn sich die/der Hinweisgebende mit dem Verdacht an die Öffentlichkeit wendet. Die untersuchende Stelle entscheidet im Einzelfall, wie sie mit der Verletzung der Vertraulichkeit durch die Hinweisgebende beziehungsweise den Hinweisgebenden umgeht. Die/Der Hinweisgebende ist auch im Fall eines nicht erwiesenen wissenschaftlichen Fehlverhaltens zu schützen, sofern die Anzeige der Vorwürfe nicht nachweislich wider besseres Wissen erfolgt ist.

Leitlinie 19: Verfahren in Verdachtsfällen wissenschaftlichen Fehlverhaltens

Die TIB und die Leibniz-Gemeinschaft haben Verfahren zum Umgang mit Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens auf Basis hinreichender Rechtsgrundlagen sowie der geltenden Leibniz-Leitlinie gute wissenschaftliche Praxis etabliert, die für die Wissenschaftler:innen der TIB in dieser Richtlinie festgehalten sind. Die entsprechenden Regelungen umfassen insbesondere Definitionen von Tatbeständen wissenschaftlichen Fehlverhaltens, Verfahrensvorschriften und Maßnahmen bei Feststellung eines  wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Die Regelungen werden stets ergänzend zu einschlägigen, höherrangigen Normen angewandt.

Nicht jeder Verstoß gegen Regeln guter wissenschaftlicher Praxis stellt ein wissenschaftliches Fehlverhalten dar. Art und Schweregrad möglicher Verstöße sind in den einschlägigen Leitlinien und Regelwerken der Leibniz-Gemeinschaft und in dieser Richtlinie in den Abschnitten 4, 5 und 6 niedergelegt. Sie klären Fragen zur Zuständigkeit für jeden einzelnen Verfahrensabschnitt, zur Beweiswürdigung, zur Vertretung der Ombudspersonen und der Mitglieder der Untersuchungskommission, zu Befangenheiten sowie ggbfs. zu rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätzen. Sie sind so eingerichtet, dass der/dem von den Vorwürfen Betroffenen sowie der/dem Hinweisgebenden in jeder Phase des Verfahrens Gelegenheiten zur Stellungnahme gegeben und dass bis zum Nachweis eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens die Angaben über die Beteiligten des Verfahrens und die bisherigen Erkenntnisse vertraulich behandelt werden. Die TIB gewährleistet eine möglichst zeitnahe Durchführung des gesamten Verfahrens und unternimmt die erforderlichen Schritte, um jeden Verfahrensabschnitt innerhalb eines angemessenen Zeitraums abzuschließen. Die Regelwerke der TIB und der Leibniz-Gemeinschaft zeigen verschiedene Maßnahmen auf, die in Abhängigkeit vom Schweregrad des nachgewiesenen wissenschaftlichen Fehlverhaltens anzuwenden sind. Kommt nach Feststellung eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens als Maßnahme der Entzug eines akademischen Grades in Betracht, werden die dafür zuständigen Stellen einbezogen. Das Ergebnis wird nach Abschluss der Ermittlungen den betroffenen Wissenschaftsorganisationen und gegebenenfalls Dritten, die ein begründetes Interesse an der Entscheidung haben, mitgeteilt.

4 Tatbestände des wissenschaftlichen Fehlverhaltens

Nicht jeder Verstoß gegen Regeln guter wissenschaftlicher Praxis stellt ein wissenschaftliches Fehlverhalten dar. Wissenschaftliches Fehlverhalten liegt vor, wenn (in wissenschaftlichem Zusammenhang) vorsätzlich oder grob fahrlässig Falschangaben gemacht werden, sich fremde wissenschaftliche Leistungen unberechtigt zu eigen gemacht werden oder die Forschungstätigkeit anderer beeinträchtigt wird.

Zu wissenschaftlichem Fehlverhalten gehören Falsch- und Fehlangaben in  wissenschaftserheblichem Zusammenhang durch insbesondere:

  • das Erfinden von Daten,
  • das Verfälschen von Daten (zum Beispiel durch Auswählen erwünschter oder Zurückweisen unerwünschter Ergebnisse oder Auswertungsverfahren, ohne dies offen zu legen, oder durch Manipulation einer Darstellung oder Abbildung),
  • unrichtige Angaben in Publikationslisten oder einem Förderantrag (einschließlich Falschangaben zum Publikationsorgan und zu in Druck befindlichen Veröffentlichungen),
  • Mehrfachpublikation von Daten oder Texten ohne eine entsprechende Offenlegung.

Zu wissenschaftlichem Fehlverhalten gehört die Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums, insbesondere:

  • bezüglich eines von anderen geschaffenen, rechtlich geschützten Werkes oder von anderen stammenden, wesentlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen, Hypothesen, Lehren oder Forschungsansätzen:
  • die unbefugte Übernahme oder sonstige Verwendung von Passagen ohne angemessenen Nachweis der Urheberschaft (Plagiat),
  • die Ausbeutung von Forschungsansätzen und Ideen ohne Einwilligung, insbesondere als Gutachter:in,
  • die Anmaßung oder unbegründete Annahme wissenschaftlicher Autorschaft oder Koautorschaft ebenso wie die Verweigerung einer solchen, die Verfälschung des Inhalts oder die unbefugte Veröffentlichung und das unbefugte Zugänglichmachen gegenüber Dritten, solange das Werk, die Erkenntnis, die Hypothese, die Lehre oder der Forschungsansatz noch nicht rechtmäßig veröffentlicht ist;
  • die Inanspruchnahme der Autorschaft oder Koautorschaft einer anderen Person ohne deren Einverständnis

Zu wissenschaftlichem Fehlverhalten ist die unlautere Behinderung von Forschungstätigkeiten anderer zu zählen – einschließlich des Beschädigens, Zerstörens oder Manipulierens von Versuchsanordnungen, Geräten, Unterlagen, Hardware, Software oder sonstiger Sachen, die andere zur Durchführung ihrer Forschung benötigen. Die Beseitigung von Forschungsdaten, wenn damit gegen gesetzliche Bestimmungen oder anerkannte Grundsätze wissenschaftlicher Arbeit verstoßen wird, wie auch die rechtswidrige Nichtbeseitigung (insbesondere personenbezogener) von Daten gilt als wissenschaftliches Fehlverhalten.

Die Vernachlässigung der wissenschaftlichen Leitungsverantwortung und der Aufsichtspflicht durch alle Personen mit Personalverantwortung in einer Weise, die Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis begünstigen, ist wissenschaftliches Fehlverhalten.

Koautorschaft unter Inkaufnahme der Beteiligung an einer fälschungsbehafteten Veröffentlichung ist wissenschaftliches Fehlverhalten.

Das bewusste Vortäuschen der Durchführung oder Inanspruchnahme von Maßnahmen und Verfahren zur Qualitätssicherung (wie bspw. peer-review) ist wissenschaftliches Fehlverhalten

5 Verfahren zu Konfliktlösung und zur Prüfung von Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens

Die Ombudspersonen der TIB werden in der Regel auf Aufforderung tätig. Wissenschaftler:innen können frei wählen, an welche Ombudsperson der TIB sie sich wenden.  Die Ombudspersonen der TIB können sich beraten. Der/die Hinweisgebende/r muss dazu im Vorfeld seine/ihre Zustimmung geben. Handelt es sich um Beratung zur Vermeidung von Fehlverhalten oder um die Vermittlung zwischen Personen, können die Gespräche von allen Beteiligten jederzeit, ohne Angabe von Gründen, beendet werden. Im Falle der Vermittlung obliegt die Durch- und Umsetzung der erarbeiteten Lösungsvorschläge den Konfliktparteien selbst. Die Ombudspersonen haben keine Befugnis, Maßnahmen zur Durchsetzung oder Überwachung der getroffenen Vereinbarungen zu ergreifen. Die Überprüfung anonymer Anzeigen ist durch die Ombudspersonen abzuwägen. Grundsätzlich gebietet eine zweckmäßige Untersuchung die vertrauliche Namensnennung der Hinweisgeberin oder des Hinweisgebers gegenüber der Ombudsperson. Die für die TIB gültigen Tatbestände des Verstoßes gegen die gute wissenschaftliche Praxis werden in Abschnitt 4 definiert und gelten als Orientierung. Die Anzeige der Hinweisgebenden muss in gutem Glauben erfolgen. Bewusst unrichtig oder mutwillig erhobene Vorwürfe können selbst ein wissenschaftliches Fehlverhalten begründen. Liegt einer Ombudsperson ein Vorwurf wissenschaftlichen Fehlverhaltens vor, führt sie bei hinreichend konkreten Vorwürfen und begründetem Anfangsverdacht eines Fehlverhaltens eine Prüfung durch. Nicht jeder Verstoß gegen Regeln guter wissenschaftlicher Praxis stellt ein wissenschaftliches Fehlverhalten dar.

5.1 Vorprüfung

Verfahrensrelevante Informationen über wissenschaftliches Fehlverhalten sind in der Regel schriftlich an eine der Ombudspersonen zu richten. Sollte die Verdachtsmeldung mündlich an die Ombudsperson gerichtet werden, ist durch die Ombudsperson eine Niederschrift anzufertigen. Die Ombudsperson bestätigt innerhalb einer Woche ab Eingang der Anzeige gegenüber der Hinweisgeberin bzw. dem Hinweisgeber deren Erhalt. Die Ombudsperson führt eigenständig und unverzüglich eine Vorprüfung durch. Die Befangenheit der ermittelnden Ombudsperson kann sowohl durch sie selbst als auch durch die Betroffenen geltend gemacht werden. Besteht über den Vorwurf der Befangenheit Uneinigkeit, entscheidet die/der Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats der TIB. Die Ombudsperson ist verpflichtet, Nachteile für das wissenschaftliche und berufliche Fortkommen der hinweisgebenden Personen weitestmöglich zu verhindern, wie auch Beschuldigte vor unberechtigten Vorwürfen zu schützen. Diese Verpflichtung gilt auch für die im weiteren Verfahren gegebenenfalls hinzugezogenen Personen und Gremien.

Im Rahmen der Vorprüfung fordert die Ombudsperson die beschuldigte Person unverzüglich schriftlich zur Stellungnahme zu dem Vorwurf auf. Hierbei führt sie gegenüber der beschuldigten Person die belastenden Tatsachen und Beweismittel auf. Zur Stellungnahme ist eine Frist zu setzen; diese soll in der Regel zwei Wochen betragen. Die Frist kann verlängert werden. Die Stellungnahme soll schriftlich erfolgen. Beschuldigte Personen sind nicht verpflichtet, sich selbst zu belasten. Im Rahmen der Vorprüfung kann die Ombudsperson Dokumente anfordern, beschaffen und sichten, andere Beweismittel beschaffen und sichern, Stellungnahmen oder – soweit erforderlich – externe Expertisen einholen. Alle einbezogenen Personen sind um vertrauliche Behandlung der Anfrage zu ersuchen.

Die Ombudsperson dokumentiert, welche Schritte zur Sachverhaltsaufklärung unternommen worden sind. Nach Abschluss der sachdienlichen Ermittlungen und unter Auswertung aller relevanten Beweismittel einschließlich der Stellungnahme der beschuldigten Person entscheidet die Ombudsperson unverzüglich über den weiteren Fortgang des Verfahrens. Die Entscheidung richtet sich danach, ob aufgrund der Tatsachenlage eine Feststellung wissenschaftlichen Fehlverhaltens durch die Untersuchungskommission wahrscheinlicher erscheint als eine Verfahrenseinstellung (hinreichender Verdacht). Besteht kein hinreichender Verdacht eines verfolgbaren wissenschaftlichen Fehlverhaltens, stellt die Ombudsperson das Verfahren ein. Bei hinreichendem Verdacht leitet die Ombudsperson die Vorprüfung in eine förmliche Untersuchung über, welche von der Untersuchungskommission geführt wird. Die Entscheidung ist schriftlich in einem Vermerk niederzulegen; über die Entscheidung sowie die ausschlaggebenden Gründe sind die hinweisgebende und die beschuldigte Person sowie die Direktion der TIB schriftlich zu informieren.

Bei einer Einstellung des Verfahrens durch die Ombudspersonen können die Beteiligten Einspruch erheben. Das Verfahren wird dann direkt an das zentrale Ombudsgremium der Leibniz-Gemeinschaft weitergeleitet.

5.2 Untersuchungskommission zur Überprüfung des Vorwurfs des wissenschaftlichen Fehlverhaltens

Die Untersuchungskommission zur Überprüfung des Vorwurfs wissenschaftlichen Fehlverhaltens ist an diese Richtlinie und die Definitionen wissenschaftlichen Fehlverhaltens gebunden. Sie berücksichtigt darüberhinausgehend die anerkannten fachlichen Standards und richtet ihre Arbeit an den üblichen Prinzipien der Wahrheitsfindung aus.

Die Direktion der TIB wählt im Einvernehmen mit den Ombudspersonen die Mitglieder der Untersuchungskommission aus. Der Untersuchungskommission gehören mindestens drei stimmberechtigte Mitglieder an, darunter

  • eine Person, die über die fachliche Befähigung zum umfänglichen Verständnis der wissenschaftlichen Sachverhalte des Vorgangs verfügt und nicht Mitarbeiterin oder Mitarbeiter der TIB ist,
  • eine Volljuristin bzw. ein Volljurist,
  • die bzw. der Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats der TIB.

Weitere, nicht stimmberechtigte Mitglieder sind die Ombudsperson bzw. beide Ombudspersonen, wenn beide mit dem Vorgang betraut sind, eine einvernehmlich von der Kommission und der bzw. dem Betroffenen bestimmte Person, die im Sinne einer Anwältin bzw. eines Anwaltes der beschuldigten Person nach entlastenden Argumenten sucht und diese in die Diskussion der Kommission einbringt.

Die Befangenheit eines benannten Mitglieds kann sowohl durch dieses selbst als auch durch die Betroffenen geltend gemacht werden. Besteht über den Vorwurf der Befangenheit Uneinigkeit, entscheidet die Direktion der TIB. Sollte eines der drei oben genannten Mitglieder im Laufe des Verfahrens dauerhaft an der Mitarbeit in der Untersuchungskommission verhindert sein, so bestimmt die Direktion der TIB im Einvernehmen mit der Ombudsperson umgehend eine Nachfolge.

Die Untersuchungskommission berät in nicht-öffentlicher und mündlicher Verhandlung. Sie einigt sich in ihrer ersten Sitzung auf Regeln zum Verfahren. Sie bestimmt aus ihren Reihen eine Vorsitzende bzw. einen Vorsitzenden, der bzw. dem die Leitung der Sitzungen obliegt. Entscheidungen trifft die Kommission mehrheitlich. Die Mitglieder der Untersuchungskommission und die zur Unterstützung der Kommission

eingebundenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie alle am Verfahren beteiligten oder über das Verfahren unterrichteten Personen sind zur Vertraulichkeit verpflichtet. Die Untersuchungskommission hört die beschuldigte sowie die hinweisgebende Person an und ermittelt den Kontext des beanstandeten Verhaltens. Die Untersuchungskommission kann weitere Personen befragen sowie Expertenmeinungen einholen oder Gutachterinnen bzw. Gutachter beratend hinzuziehen. In der Regel soll die Überprüfung durch die Untersuchungskommission in einem Zeitraum von höchstens sechs Monaten ab der konstituierenden Sitzung der Untersuchungskommission abgeschlossen sein. Die Untersuchungskommission verfasst einen Bericht, in dem sie das Vorliegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens beurteilt. Kommt die Untersuchungskommission zu dem Schluss, dass wissenschaftliches Fehlverhalten vorliegt, d. h. hält die Untersuchungskommission mehrheitlich das wissenschaftliche Fehlverhalten für hinreichend erwiesen, soll der Bericht insbesondere a) das Ausmaß eines solchen wissenschaftlichen Fehlverhaltens darstellen und bewerten und b) feststellen und begründen, ob ein solches Verhalten fahrlässig, grob fahrlässig oder vorsätzlich erfolgt ist.

Im Bericht kann zudem festgehalten werden, welches weitere Vorgehen bzw. welche weiteren Maßnahmen die Untersuchungskommission empfiehlt. Der Bericht wird den Beteiligten und der Direktion der TIB übergeben. Die Direktion befasst sich zeitnah mit dem Bericht und entscheidet über weitere Maßnahmen

6 Abschluss des Verfahrens

Die Direktion der TIB entscheidet auf Grundlage des Berichts der Untersuchungskommission zum Vorliegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens über die erforderlichen Maßnahmen oder zur Einstellung des Verfahrens. Sie kann sich diesbezüglich mit dem zentralen Leibniz-Ombudsgremium beraten. Maßnahmen können, in Abhängigkeit vom Schweregrad des nachgewiesenen wissenschaftlichen Fehlverhaltens, sein:

  • schriftliche Rüge,
  • Aufforderung, inkriminierte Veröffentlichungen zurückzuziehen oder – in minder schweren Fällen – falsche Daten durch die Veröffentlichung eines Erratums zu berichtigen,
  • Weiterleitung des Vorgangs an betroffene Dritte, etwa an die akademische Grade verleihende Hochschule, wenn das wissenschaftliche Fehlverhalten deren Entzug zur Folge haben kann,
  • Einleitung etwaiger disziplinarischer, arbeits-, zivil- oder strafrechtlicher Konsequenzen,
  • bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit Ausschluss des/der Betroffenen von der federführenden Beantragung von Drittmitteln für die TIB für ein bis fünf Jahre (je nach Schweregrad des wissenschaftlichen Fehlverhaltens).

Stellt die Direktion der TIB auf Grundlage des Berichts der Untersuchungskommission fest, dass das wissenschaftliche Fehlverhalten den Entzug akademischer Grade zur Folge haben kann, leitet sie den Vorgang an die verleihende Hochschule weiter. Die wesentlichen Gründe, die zur Einstellung des Verfahrens oder zu Beschlüssen über umzusetzende Maßnahmen geführt haben, sind der betroffenen Person, etwaigen hinweisgebenden Personen und der bzw. dem Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats mitzuteilen.

Die Direktion entscheidet über die Weitergabe und Veröffentlichung der Beschlüsse und der Berichte der Untersuchungskommission einzelfallabhängig unter Berücksichtigung des Vorliegens eines berechtigten Interesses Dritter.

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